Wieder ist eine Friedensflottille unterwegs. Wieder versuchen Privatpersonen, das zu tun, was die Staatengemeinschaft versäumt: humanitäre Hilfe nach Gaza zu bringen. Es stellt sich die Frage, ob unsere Medien auch dieses Mal so eklatant versagen werden wie im Juni 2025, als das Hilfsschiff „Madleen“ völkerrechtswidrig von Israel gekapert wurde.
Ein Blick in die blutige Vergangenheit
Eine Friedensflottille zu organisieren ist kein Kinderspiel, auf dem Hilfsschiff mitzureisen mitunter lebensgefährlich – insbesondere dann, wenn man notleidenden Menschen in Gaza helfen will. Davon können die Teilnehmer*innen der Free-Gaza-Flottille von 2010 eine traurige Geschichte erzählen. Damals hatten die Schiffe etwa 10.000 Tonnen Hilfsgüter geladen, darunter Fertighäuser, Wasserreinigungsanlagen und medizinisches Gerät. Zur Crew gehörten unter anderem der damals 85-jährige Holocaust-Überlebende Hedy Epstein sowie die Friedensnobelpreisträgerin Mairead Corrigan Maguire. Unter den rund 700 Passagieren aus 36 Ländern waren auch Deutsche, wie der Rechtsprofessor Norman Paech und die Bundestagsabgeordneten Annette Groth und Inge Höger.
Das israelische Militär stoppte die Mission brutal: Neun Menschen wurden erschossen, darunter ein 18-Jähriger, der Arzt werden wollte, und mehrere Familienväter. 2014 erlag ein weiterer Mann seinen Schussverletzungen nach vier Jahren im Koma. Alle Todesopfer waren türkische Staatsbürger. Über 50 Menschen wurden schwer, mehr als 100 weitere leicht verletzt. Wer Hilfsgüter nach Gaza bringen möchte, setzt sich also der realen Gefahr aus, von Israel getötet oder schwer verletzt zu werden.
Deutsche Mainstreammedien verschweigen die Gefahr
Als die Freedom Flotilla Coalition (FFC) 2025 die israelische Blockade des Gazastreifens mit dem Segelschiff „Madleen“ zu durchbrechen versuchte, wurde das Blutbad von 2010 von der deutschen Mainstream-Berichterstattung nahezu komplett ausgeklammert. Den Mediennutzer*innen sollte so der Eindruck vermittelt werden, die humanitäre Aktion sei ein Zeitvertreib für selbstinszenierte „Weltenretter“.
Im Mittelpunkt stand Greta Thunberg, die von Teilen der deutschen Medienlandschaft ignoranterweise längst in die Antisemitismus-Schublade gesteckt wurde. Oftmals wurden israelische Narrative übernommen, inklusive des Begriffs „Selfie-Yacht“, den israelische Regierungskreise erfanden, um die couragierte Arbeit der Aktivist*innen zu diskreditieren. Ein Tiefpunkt des deutschen Journalismus – einer von vielen im Kontext des Nahostkonflikts.
Blick auf geschichtliche Fakten nicht erwünscht
Warum verschweigen die deutschen Medien das Blutbad von 2010? Mehrere Gründe haben mit einem drohenden Imageverlust Israels zu tun – und damit einhergehend mit dem eigenen.
Mediennutzer*innen würden erkennen, dass israelische Soldaten nicht davor zurückschrecken, internationale Helfer zu exekutieren. Damals nicht und heute nicht, wie wir unter anderem angesichts des Drohnenangriffs auf den World Central Kitchen-Konvoi in Gaza am 1. April 2024 wissen, bei dem sieben Helfer getötet wurden. Sie würden sehen, dass schon 2010 Gründe bestanden, den Menschen in Gaza helfen zu wollen. Und sie würden merken, dass das gängige Narrativ, alles habe am 7. Oktober 2023 begonnen, nicht stimmt. Historische Tatsachen wie das Blutbad auf der Mavi Marmara werden daher geflissentlich umschifft.
Auch das Völkerrecht wird unter den Teppich gekehrt
Doch ist es nicht nur die Geschichte, die von deutschen Medien ausgeblendet wird. Chronisch ausgeblendet wird auch das Völkerrecht, wenn es um Israel und sein Vorgehen geht. Gerade im Kontext der Friedensflottillen böte sich jedoch ein Blick auf Gesetze und Normen an:
Israel ignoriert bindende Anordnungen des IGH
So hat der IGH im März 2024 bindend angeordnet, dass Israel die Lebensbedingungen in Gaza erträglich gestalten muss. Im Mai 2024 verpflichtete er Israel zudem dazu, den Grenzübergang Rafah für humanitäre Hilfe zu öffnen.
Israel blockiert einen Küstenstreifen und Gewässer, die es illegal besetzt
In seinem Gutachten vom 19. Juli 2024 stellt der IGH zudem klar, dass sowohl die Besatzung des Westjordanlands, Ostjerusalems und Gazas als auch die israelische Siedlungspolitik dort gegen internationales Recht (u.a. Genfer Konventionen) verstoßen und Israels anhaltende militärische und administrative Kontrolle der palästinensischen Gebiete einer De-facto-Annexion gleichkommt. Daher fordert das Gutachten Israel unter anderem dazu auf, die Besatzung „so schnell wie möglich zu beenden“. Vor diesem Hintergrund ist es offensichtlich, dass Israels Vorgehen, Hilfslieferungen über Gazas Küstenstreifen zu verhindern, rechtlich höchst problematisch ist – allein schon deshalb, weil die Besatzung illegal ist.
Die Blockade von Hilfslieferungen erfolgt vorsätzlich
Zweitens kommt das absichtliche Blockieren von Hilfslieferungen einer völkerrechtswidrigen Kollektivbestrafung gleich. Drittens lässt sich nicht leugnen, dass Israels Blockade vorsätzlich erfolgt. Ein Punkt, der bei der Anwendung der Völkermordkonvention wichtig ist. Israel legt den palästinensischen Menschen also vorsätzlich Lebensbedingungen auf, „die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen“.
Das Kapern von Schiffen auf internationalen Gewässern ist illegal
Ein dritter Punkt ist das Kapern von Hilfsgütertransporten in internationalen Gewässern. Dieses ist völkerrechtswidrig. Israels Argumentation, wonach Blockadebrecher als Waffenschmuggler eine Bedrohung darstellten, wird nach breiter internationaler Expertenmeinung als vorgeschoben abgelehnt, zumal die Friedensflottille ganz bewusst auf jegliche Bewaffnung verzichtet.
„Global Sumud Flotilla“ als Chance zur Rehabilitation
All diese Punkte werden den Mediennutzer*innen vorenthalten, gehören aber in eine saubere Berichterstattung. Bei der Berichterstattung rund um die „Global Sumud Flotilla“ muss es daher besser laufen! Es ist auch nicht undenkbar, dass der ein oder andere Journalist und die ein oder andere Journalistin wirklich Lust hätten, in diese Materie einzusteigen und den Leserinnen, den Zuhörern oder Zuschauern Kontexte und Einordnungen zu liefern, die nicht aus der Propagandaabteilung der israelischen Regierung stammen. Es muss ja schließlich Gründe geben, warum sie Journalisten werden wollten.
Wir leben aber in einer Zeit der Denunziation und Diffamierung von Menschen, die es wagen, auch gegenüber Israel auf Prinzipien wie Menschenwürde, Recht auf Leben und körperliche sowie seelische Unversehrtheit zu pochen sowie die Einhaltung von Kriegs- und Völkerrecht einzufordern. Daher brauchen Journalist*innen die Rückendeckung ihrer Arbeitgeber, der Medienhäuser, Sender, Zeitungen und Magazine, die sich in der Öffentlichkeit als seriös präsentieren und womöglich auch selbst an ihre Seriosität glauben. Prove it! Beweisen Sie es!